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Grammatik
der
grönländischen sprache
mit theilweisem einschluss des Labradordialects

von
S. Kleinschmidt.


Berlin, 1851.
Druck und Verlag von G. Reimer.

III

Vorrede.

Die grönländische sprache gehört zu dem in Europa unter dem namen des karalitischen* bekannten sprachstamm, dessen gebiet sich von Labrador, Grönland und Baffinsland längs der nordküste des nordamerikanischen festlandes bis zu den Aleuten erstreckt. Die vorliegende grammatik behandelt zunächst die östlichste mundart dieses sprachstammes, nämlich das grönländische, von welchem aber das labradorische in grammatikalischer hinsicht so wenig verschieden ist, dass sie in ihrem 1sten u. 2ten theil (formenlehre und syntax) zugleich auch als labradorische grammatik gelten kann. Überhaupt mag der unterschied zwischen diesen und den westlichen (mir unbekannten) dialecten nicht so gross sein, als man etwa aus der gegenseitigen entfernung schliessen mochte. Die Eskimos in Labrador sind seit wenigstens 1000 jahren von den grönländern völlig getrennt, und doch sind die sprachen beider weniger verschieden, als z. b. dänisch u. schwedisch, od. holländisch u. Hamburger plattdeutsch. Die bewohner von Boothia Felix, bei denen capt. John Ross auf seiner zweiten polarreise 3 jahre verbrachte, verstanden manches von dem, was er ihnen aus einem grönländischen buch vorlas**, und wurden zweifelsohne noch weit IV mehr davon verstanden haben, wenn sie dasselbe von einem grönländer gehört hätten, und vielleicht alles, wenn ein grönländer über gegenstände des gemeinen lebens mit ihnen gesprochen hätte. So sind auch von den in capt. Ross’s reisebeschreibung vorkommenden ortsnamen (trotz der englischen orthographie und der wahrscheinlichen verunstaltung mehrerer) die meisten als gut grönländisch erkennbar, und da es andrerseits auch in Grönland viele ortsnamen giebt, über deren Bedeutung jetzt keiner der eingebornen mehr auskunft zu geben vermag, so lässt sich hieraus ebenfalls schliessen, dass der sprachliche unterschied zwischen hier und dort nicht gross sein mag. Von den in Grönland selbst bestehenden dialecten mag hier folgendes genügen: Auf der westküste unterscheiden sich 2 hauptdialecte: der nördliche und südliche; ersterer ist der härtere, und zugleich der reinste in der aussprache, besonders der vocale; der südliche ist weicher, aber auch undeutlicher. (Ein anderer unterschied ist der, dass die südländer mehr grammatikalische, die nordländer mehr logische fehler machen). Der ostgrönländische dialect hat in manchen theilen mehr ähnlichkeit mit dem nördlichen als mit dem südlichen dialect der westküste. Die meiste verschiedenheit findet überall in lexicalischer hinsicht statt, doch auch hier ist der unterschied nicht grösser, als dass die schriftsprache (die lingua sancta) nur in äusserst wenigen fällen provincialismen aufzunehmen genöthigt ist.

* besser wäre: karalisch, denn der name dieses volks ist in der einheit karâleĸ (ein karale).

** s. capt. J. Ross’s zweite entdeckungsreise, Cap. 41, sub dato 12. Juni.

Über das grönländische sind in früheren jahren zwei grammatiken im druck erschienen, nämlich 1760 die jetzt nur als antiquität hie und da noch vorhandene von Paul Egede, und 1791 die von Fabricius. Ausser diesen giebt es noch eine dritte von Königseer, verfasst um 1780, die aber, wie auch eine dem Labradordialect angepasste abänderung derselben, nie gedruckt worden ist. Egedes grammatik war der bahnbrecher, nicht nur in dieser sprache, sondern in dieser art von sprachen überhaupt, daher V sie nicht nach gewöhnlichem maassstab beurtheilt werden darf. Von den beiden spätern steht die Königseer’sche noch ganz auf europäischem (resp. lateinischem) standpunkt, wogegen Fabricius sich in manchen stücken in einem für seine zeit allerdings bemerkenswerthen grade von der damals noch fast unbestrittenen autorität des lateinischen als alleinigen sprachmusters frei gemacht hat. Mehr jedoch kann in dieser hinsicht jetzt erwartet werden, wo man beides das eigenthümliche und das verwandte verschiedener sprachen zu unterscheiden besser gelernt hat, und sollte daher der wesentlichste unterschied zwischen jenen früheren grammatiken und der gegenwärtigen darin bestehen, dass der ausgangspunkt, statt bei jenen europäisch, bei dieser grönländisch ist. In wie weit dies gelungen ist, muss der erfolg hier im lande zeigen.

Mit dieser veränderung des ausgangspunktes hängt dann auch die veränderung der schreibart, die den mit der bisherigen grönländischen literatur (dass ich mich so ausdrücke) bekannten bald auffallen wird, aufs engste zusammen. Ist es überhaupt ein arger fehler, wenn man verschiedene laute durch einerlei buchstaben, oder einerlei laute durch verschiedene buchstaben bezeichnet, so ist der fehler doppelt arg in einer so durchaus regelmässigen sprache, wie das grönländische ist, wo durch eine nicht in der sprache selbst begründete schreibart das von derselben zu entwerfende bild bis zum unkenntlichen entstellt werden kann, und demjenigen, der bei erlernung der sprache auf solche (entstellende) hülfsmittel angewiesen ist, eine menge unnöthiger schwierigkeiten bereitet wird. Übrigens wird man sich leicht überzeugen können, dass ich bemüht gewesen bin, mich dem bestehenden so nahe anzuschliessen, als es sich mit festhaltung des grundprincip’s aller schrift: je ein zeichen für einen laut — vertragen kann.

Zum schluss will ich noch bemerken, dass diese grammatik (wie auch die früheren) zunächst für solche geschrieben ist, die VI hier im lande ihren aufenthalt nehmen, und somit tägliche gelegenheit haben, die sprache aus dem munde des volks zu hören; — soll also nicht sowohl ein erschöpfendes lehrbuch der sprache sein, als vielmehr nur ein hülfsmittel, klarheit in das gehörte zu bringen.

Geschrieben in Neuherrnhut in Grönland, d. 25. Juni 1850.

Samuel Kleinschmidt.

VII

Inhalt.

seite
Tabellarische übersicht der beugungsanhänge. 20
Einleitung.
Erster abschnitt. Schrift und aussprache.
§. 1. Consonanten. 1
§. 2. Vocale. 2
§. 3. Währung der vocale. 3
§. 4. Alphabet. 4
§. 5. Sylbentheilung und Sylbenausgänge. 5
§. 6. Consonant­verbindungen. 5
§. 7. Lautwechsel (vertauschung). 6
§. 8. Gewicht der sylben. 7
§. 9. Wortton. 8
Zweiter abschnitt. Bestandtheile der sprache.
§. 10. Wurzeln und stämme. 9
§. 11. Urstämme und anhangs­stämme. 10
§. 12. Nennwörter und verbalstämme. 11
§. 13. Redetheile. 11
Erster haupttheil. Formenlehre.
§. 1419. Vom bereich der formen im allgemeinen. 13
Erster abschnitt. Formen der deutewörter.
§. 20. Deutewurzeln. 21
§. 21. Zusammengesetzte deutewörter. 21
§. 22. Fragendes deutewort. 22
§. 23. Persönliche deutewörter. 22
§. 24. Formen derselben. 23
§. 25. Persönliche fragewörter. 23
Zweiter abschnitt. Formen der nennwörter.
A, 1. Zahlformen.
§. 26. Endungen der stammform. 24
§. 27. Allgemeine zahlformbildung. 24
§. 28. Zahlformen der ersten classe. 25
§. 29. Abweichende wörter der ersten classe. 26
§. 30. Zahlformen der zweiten classe. 26
VIII §. 31. Zahlformen der dritten classe. 27
§. 32. Dialectische verschiedenheiten. 29
A, 2. Suffixe.
§. 33. a- und e-suffixe (grundregel). 29
§. 34. Einfache suffixe. 30
§. 35. Erweiterte suffixe. 30
§. 36. Anhängeregeln. 31
§. 37. Abweichungen (vocalwechsel). 33
A, 3. Appositionen.
§. 38. Casus der stämme. 34
§. 39. Casus der suffixe. 35
§. 40. tut- (an nenn- und deutewörtern). 36
§. 41. Aneinanderhängung der appositionen. 36
B, 1. Zahlwörter.
§. 42. Zählweise, und zahlwörter bis 20. 37
§. 43. Zahlen für mehrfache mehrheit. 38
§. 44. Zahlwörter mit suffixen u. appositionen. 38
§. 45. Zahlwörter über 20. 39
B, 2. Ortswörter.
§. 46. Regelmässige —. 46
§. 47. Abweichende —. 47
B, 3. Personwörter.
§. 48. Eigentliche — (ich, du). 42
§. 49. Uneigentliche —. 43
§. 50. B, 4. Deutewörter mit suffixen. 45
Dritter abschnitt. Formen der redewörter.
A, 1. Modusbildung.
§. 51. Charakter. 46
§. 52. Moduszeichen. 47
A, 2. Personzeichen.
§. 53. Indic., Interrog., Optat., Infin., Nominalpart. 49
§. 54. Conjunctiv und Subjunctiv. 50
A, 3. Suffixe.
§. 55. Nennwortsuffixe der 3ten pers. (auch zusammen­gesetzte). 51
§. 56. Andere suffixe der 3ten pers. 51
§. 57. Suffixe der 2ten u. 1sten pers. 52
§. 58. A, 4. Abweichende formen. 53
§. 59. 60 B. 1. Transitive u. intransitive redewörter. 54
§. 61. B, 2. Verneinende redewörter. 56
Vierter abschnitt. Partikeln.
§. 62. Allgemeines, und eintheilung. 58
§. 63. Anhangspartikeln. 58
IX §. 64. Zeitpartikeln. 60
§. 65. Sonstige adverbien. 61
§. 66. Verhältnisswörter. 62
§. 67. Partikelartige ausrufe. 63
Zweiter haupttheil. Satzlehre.
Erster abschnitt. Verhältnisse der wörter im satze.
§. 68. Allgemeine eintheilung. 65
I. Casus rectus.
§. 69. Arten selbstständiger sätze. 66
§. 70. Ausrufssätze ohne redewort. 67
§. 71. Ausrufssätze mit ersetzender redewortform. 68
II. A. Casus versus der gegenstandswörter.
§. 72. Thatziel und besitz. 69
§. 73. Suffixe der 3ten pers. im allgemeinen. 70
§. 74. e-suffixe. 71
§. 75. Suffixe der 3ten pers. mit appositionen. 72
II. B. Casus versus der redewörter.
§. 76. Im allgemeinen — Particip. 73
§. 77. Einfache und zusammen­gesetzte e-suffixe 75
§. 78. Infinitiv, Conjunctiv, und Indicativ statt des Particip’s. 76
§. 79. Umgekehrte participien. 77
III. A. Casus obliquus der gegenstandswörter.
§. 80. Im allgemeinen. 78
§. 81. Localis. 79
§. 82. Ablativ. 80
§. 83. Vialis. 82
§. 84. Terminalis. 83
§. 85. Modalis (a) des mittels. 84
§. 86. Modalis (b) der beschaffenheit. 86
§. 87. Zusammentreffen des Modalis a) und b). 87
III. B. Casus obliquus der redewörter.
§. 88. Im allgemeinen. 88
§. 89. Conjunctiv und Subjunctiv überhaupt. 89
§. 90. a- und e-form und e-suffixe 90
§. 91. Infinitiv überhaupt. 92
§. 92. Adverbialische Infinitive. 93
§. 93. Casus obliquus bei gegenstandswörtern. 94
IV. Beiordnung.
§. 94. Project und redewort. 95
§. 95. Substantiv und adjectiv. 96
§. 96. Frage und antwort. 97
Zweiter abschnitt. Zusammenhang des satzes. X
I. Wortstellung.
§. 97. In einfachen sätzen. 98
§. 98. In zusammen­gesetzten sätzen. 99
§. 99. In mehrgliedrigen sätzen. 100
II. Verbindung gleichgestellter satztheile.
§. 100. Copula zwischen gegenstandswörtern. 101
§. 101. Copula zwischen redewörtern. 102
§. 102. Relativsätze. 104
§. 103. III. Durchkreuzung der sätze. 105
Dritter haupttheil. Zusammensetzungslehre.
§. 104110. Allgemeines. 107
Erster abschnitt. Anhänge der nenn- und redewörter.
I. Anhangsnennwörter.
§. 111119. umbildende —. 112
§. 120121. fortbildende —. 121
II. Anhangsredewörter.
§. 122128. umbildende —. 134
§. 129137. fortbildende —. 147
Zweiter abschnitt. Anhänge der deutewörter, partikeln, suffixe und appositionen.
§. 138140. 163
Register der anhängewörter. 167
Anhang. 171

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